13.1.01. Allgemeine Ausführungen zu Fragen der beruflichen und sozialen Integration

3.1.01. Allgemeine Ausführungen zu Fragen der beruflichen und sozialen Integration

Rechtsgrundlagen

Erläuterungen

1.   Arbeitsintegration als Teil des Sozialen Sicherungssystems der Schweiz

Die nachfolgenden Ausführungen lehnen sich an die Facharbeit MAS, Integration und Kooperation, Institutionelle Zusammenarbeit für eine wirksame und gelungene Arbeitsintegration, von Franziska Eggenberger, Carlo Piffari und Nadine Zimmermann an.

Arbeitsintegration ist ein wichtiger Teilsaspekt im sozialen Sicherungssystem der Schweiz. Sowohl bei den Sozialversicherungen, namentlich der Arbeitslosen- und Invalidenver­sicherung, als auch bei der Sozialhilfe ist die Integration der Betroffenen in den Arbeitsmarkt als ein Hauptziel zu sehen. Arbeitsintegration ist auch bei den Kranken- und Unfallversicherern ein Thema. Einige Versicherer haben ein Casemanagement eingerichtet und Instrumente geschaffen, mit welchen eine Früherkennung von Personen möglich wird, die aus dem Arbeitsprozess ausscheiden könnten. Der Staat als Gewährleistungsstaat ist in diesem Zusammenhang auf die Zusammenarbeit mit Privaten angewiesen, welchen er Dienstleistungen im Bereich der Arbeitsintegration abkauft oder welche solche in seinem Auftrag anbieten. Der aktivierende Staat hat zwar innerhalb des Sozialen Sicherungssystem Instrumente bereitzustellen, die den Betroffenen die Arbeitsintegration ermöglichen oder erleichtern, er bezieht für die Erfüllung dieser Aufgabe jedoch auch die Zivilgesellschaft mit ein und kann so optimale Lösungen für spezifische Probleme finden.

2.   Entwicklungen der sozialen Sicherungssysteme der Schweiz

Der Rückgang des Wirtschaftswachstums zu Beginn der 90er-Jahre, die in der Folge stei­genden Arbeitslosenquoten und die Zunahme der auf Unterstützung durch die Sozialhilfe angewiesenen Menschen sowie die steigenden Ausgaben auch in den übrigen Bereichen der sozialen Sicherheit haben die sozialpolitische Debatte der 90er-Jahre geprägt. Es wurde die Frage zur weiteren Entwicklung der Sozialversicherungen und nach der generellen Ausgestaltung des Systems der Sozialen Sicherheit gestellt, Massnahmen gegen Armut und eine Regulierung der Sozialhilfe auf eidgenössischer Ebene diskutiert. Gegen Ende der 90er-Jahre wurde zudem die Situation der „working poor“ in der Schweiz thematisiert. Verschiedene Kantone haben auf die Zunahme der Sozialhilfebeziehenden mit der Schaffung von Integrationsmassnahmen reagiert. Ein wichtiger Anstoss war dabei die Revision der Arbeitslosenversicherung von 1996 bzw. 1997, mit welcher die rein passive Ausrichtung der Arbeitslosenversicherung durch eine aktive Politik ersetzt wurde, welche die Arbeitslosen über verschiedene Massnahmen in den Arbeitsmarkt zu integrieren versucht. Gleichzeitig wurde die Verwaltung der Versicherung durch Regionale Arbeitsvermittlungszentren (RAV) eingeführt und später durch eine Steuerung über Wirkungsindikatoren ergänzt (Ludwig Gärtner / Yves Flückiger, Probleme des Sozialstaats: Ursachen, Hintergründe, Perspektiven, Nationales Forschungsprogramm 45, Zürich / Chur 2005 [zit. als Gärtner / Flückiger, Probleme des Sozialstaats, NFP 45], S. 39 und S. 110 ff.). Dieses Konzept wurde zunehmend auch in der Sozialhilfe aufgegriffen. Die Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe nahm 1997 ein Kapitel zur sozialen und beruflichen Integration in ihre Richtlinien zur Bemessung der Sozialhilfe (SKOS-Richtlinien) auf. So sichert die Sozialhilfe die Existenz bedürftiger Personen, fördert ihre wirtschaftliche und persönliche Selbständigkeit und gewährleistet die soziale und berufliche Integration. Sie versteht sich als unterstes Netz der sozialen Sicherheit, das verhindert, dass Personen oder Personengruppen von der Teilhabe an der Gesellschaft ausgeschlossen werden und sichert so den sozialen Frieden (SKOS-Richtlinien, Kapitel A.1 und A.3, Stand 2012). Auch die Invalidenversicherung wurde revidiert. Zwar gab die IV-Gesetzgebung bereits bei ihrer Einführung der Wiedereingliederung ins Erwerbsleben gegenüber der Rente den Vorrang. Faktisch gab es aber seit Beginn systemimmanente Hemmnisse, die der Reintegration im Wege standen. Zu nennen sind beispielsweise das fehlende Bereitstellen von entsprechenden personellen und finanziellen Ressourcen, zu lange Verfahren betreffend die berufliche Abklärung, ungenügende Massnahmen, der primäre Fokus auf die Eingliederung körperlich Behinderter, keine adäquaten Massnahmen für psychisch Behinderte. Erst 2004, im Rahmen der vierten IV-Revision erfolgte eine Weiterentwicklung, welche der schwierigeren wirtschaftlichen Lage Rechnung trug. Der Auftrag der IV-Stellen zur Arbeitsvermittlung wurde gesetzlich verankert. Zudem wurde die Zielsetzung „Eingliederung vor Rente“ ausdrücklich ins Gesetz aufgenommen und der Zugang zu Umschulung und zur beruflichen Weiterbildung vereinfacht. Allerdings standen die für die Wahrnehmung dieser Aufgabe notwendigen Stellen nicht zur Verfügung. Die fünfte IV-Revision, welche per 1. Januar 2008 in Kraft trat, setzt auf raschere Integration in den Arbeitsmarkt durch Investition in Integrationsmassnahmen und Kostensenkung bei den Rentenbezügern. Es kommen nun erstmals auch soziale Integrationsmassnahmen zur Anwendung, die für psychisch Behinderte oft die nötige Voraussetzung für eine berufliche Wiedereingliederung bilden (vgl. dazu Bütler et. al., Die IV – Eine Krankengeschichte, S. 51 ff. und S. 112). Mit der 6. IV-Revision soll der Paradigmenwechsel von "einmal Rente, immer Rente", hin zu "Rente als Brücke zur Eingliederung" vollzogen werden. Das Rentenrevisionsverfahren soll differenzierter ausgestaltet und insbesondere stärker bezogen auf die persönliche Situation der betroffenen Person durchgeführt werden. Ziel ist es, die Leistungs- und Erwerbsfähigkeit von Rentenbezügerinnen und -bezügern mit Hilfe von gezielten Massnahmen soweit zu verbessern, dass eine Wiedereingliederung möglich wird und die Rente nicht mehr oder nicht mehr ganz benötigt wird. Das erste Massnahmenpaket, die so genannte IV-Revision 6a, wurde per 1. Januar 2012 in Kraft gesetzt.

3.   Die investive Sozialpolitik

Im neuen Sozialstaat soll der Staat in die Produktivität seiner Bürgerinnen investieren – in erster Linie in Erziehung, Bildung und Familie als Orte der Produktion von Humankapital. Daneben zielen direkte Sozialtransfers für Menschen, die auf öffentliche Unterstützung angewiesen sind, insbesondere auf deren Flexibilität und Beschäftigungsfähigkeit. Es gilt, ihre individuelle Wettbewerbsfähigkeit auf den anspruchsvolleren Arbeitsmärkten der Wis­sensgesellschaft zu fördern. Sozialpolitik als Investition zu verstehen, impliziert notwendi­gerweise Selektion, nämlich die Unterscheidung in produktive und unproduktive Gruppen. Instrument dieser investiven Sozialpolitik ist die Aktivierung der Bürgerinnen und Bürger, insbesondere natürlich der Personen, die in irgendeiner Form direkte Unterstützung beziehen. Aktivierung heisst einerseits, dass Leistungen des Staats respektive einer Sozial­versicherung durch so genannte Gegenleistungen abgegolten werden müssen. Leis­tungsbeziehende müssen unter Beweis stellen, dass sie sich aktiv um ihre Reintegration bemühen. Dies in der Regel durch irgendeine Form von Arbeit, sei es nun im ersten Ar­beitsmarkt oder in Beschäftigungsprogrammen. Damit sie dies tun, operiert man in der Sozialhilfe bei der Aktivierung mit Anreizen: Die gewünschte Aktivität wird mit geringfügig höheren Leistungen belohnt, die Weigerung wird durch Leistungsentzug sanktioniert. Damit soll nicht zuletzt eine Disziplinierung der Leistungsbeziehenden erreicht werden (Eva Nadai, Die Vertreibung aus der Hängematte: Sozialhilfe im aktivierenden Staat, Denknetz, Jahrbuch 2007, abrufbar unter: www.denknetz-online.ch/IMG/pdf/Eva_Nadai.pdf, besucht am 28.12.2008). In der Schweiz schlug sich diese Ansicht zunächst in der Revision des Arbeitslosenversicherungsgesetzes im Jahr 1996 nieder, mit welcher die Möglichkeiten zum Setzen von positiven und negativen Anreizen durch Verstärkung der Sanktionsmöglichkeiten bei Nichtkooperation aufgenommen wurden (vgl. Art. 30 ff. AVIG). Die schweizerische Konferenz für Sozialhilfe revidierte im Jahr 2005 ihre Richtlinien zur Bemessung der Sozialhilfe (SKOS-Richtlinien). Die Revision bestand im Wesentlichen in der Senkung des Grundbedarfs für den Lebensunterhalt sowie der Einführung von finanziellen Anreizen für Personen, die sich um ihre berufliche und soziale Integration bemühen. Im Kanton Zürich wurde das Gegenleistungsprinzip und Anreizsystem mit der Teilrevision des Sozialhilfegesetzes per 1. Januar 2008 auf Gesetzesstufe verankert.

4.   Integration – die Herausforderung für die Zukunft

4.1.   Problemstellung

Zunehmend mehr Menschen sind aufgrund der tiefgreifenden Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt (vgl. SECO-Studie "Die Entwicklung atypisch-prekärer Arbeitsverhältnisse in der Schweiz", 2010) von beruflicher und/oder sozialer Desintegration bedroht. Der Verlust der Arbeitsstelle ist für viele Menschen der Anfang einer Kette von neuen Problemen und kann der Beginn einer abwärtsgerichteten Spirale sein. Der Wiedereinstieg kann sehr harzig verlaufen und erschwert sich mit zunehmender Zeit exponentiell. Die Auswirkungen der finanziellen Einbussen haben zudem Einfluss auf diverse Lebensaspekte wie Beziehung, Wohnen, Gesundheit, gesellschaftliche Anerkennung. Die Desintegration kann rasch zunehmen und der Abwärtsspirale zusätzliche Energie zuführen. Die Integration oder Reintegration von Menschen in die Arbeitswelt ist deshalb ein zentrales staatliches Anliegen - sowohl aus gesellschaftlicher wie auch aus volkswirtschaftlicher Sicht. Ein wichtiges Ziel aller sozialen Sicherungssysteme in der Schweiz ist es deshalb, den Betroffenen zu einer beruflichen Tätigkeit zu verhelfen. In diesem Zusammenhang wird von beruflicher und sozialer Integration gesprochen, wobei ersteres eher auf die Integration in den ersten Arbeitsmarkt abzielt, letzteres tendenziell die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben beabsichtigt. Es gibt keine für alle sozialen Sicherungssysteme gleichermassen gültige Definition dieser Begriffe. Es kommt allerdings nicht von ungefähr, dass der Ausdruck häufig als Begriffspaar benutzt wird, dürfte es doch unbestritten sein, dass soziale Desintegration die berufliche Integration wenn auch nicht verunmöglicht, so doch erschwert. Gleichzeitig hemmt die berufliche Integration die soziale Desintegration (vgl. dazu Aeppli, Daniel, Wirkungen von Beschäftigungsprogrammen für ausgesteuerte Arbeitslose, Zusammenfassung des Schlussberichts des gleichnamigen Forschungsprojekts im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms 45 „Probleme desSozialstaats“ des Schweizerischen Nationalfonds, S. 5 ff.)

4.2.   Aspekte der beruflichen Integration

Grundsätzlich ist Erwerbsarbeit für die meisten Menschen die Grundlage für ein eigenes Auskommen. Sie vermittelt Anerkennung und unterstützt die Integration in die Gesellschaft. Die Beanspruchung von Sozialhilfe oder von Leistungen der Arbeitslosenversicherung hat vielerlei Gründe. Überdurchschnittlich vertreten sind dabei nicht oder nur mangelhaft qualifizierte Personen. Allerdings verfügen sie häufig nicht alleine über eine mangelnde Ausbildung, sondern sind von weiteren Problemen betroffen. Der Leistungsbezug kann Folge einer rein ökonomischen Krise bei ansonsten genügend Ressourcen zur Lebensbewältigung oder aber Ausdruck eine biografischen Krise, die eine therapeutische Intervention erfordert, sein. In der Invalidenversicherung lösen - gemäss ihrer Zielsetzung - gesundheitliche Einschränkungen, welche zu einer Reduktion der Erwerbsfähigkeit führen, Versicherungsleistungen aus. Doch auch hier sind viele Betroffene von einer Kumulation von verschiedenen Belastungsfaktoren wie geringer Qualifikation, Beziehungsprobleme oder hoher Belastung am Arbeitsplatz betroffen. Die aktivierende Unterstützung, sei es nun im Bereich Sozialhilfe oder bei Beziehenden von Sozialversicherungsleistungen, basiert auf einer Politik der Knappheit. Damit die Aktivierung greifen kann, muss die betroffene Person aber in der Lage sein, auf Anreize zu reagieren und in eine Beschäftigungsmassnahme oder gar eine Stelle im ersten Arbeitsmarkt einzusteigen.

4.3.   Aspekte der sozialen Integration

Häufig liegen die Gründe für die Unterstützungsbedürftigkeit also nicht alleine in der mangelnden Ausbildung, sondern die Betroffenen sind mit weiteren Problemen wie mit gesundheitlichen und finanziellen Schwierigkeiten, Partnerproblemen oder Migrationserfahrungen konfrontiert. Die ausschliesslich finanzielle Sicherung des Existenzbedarfs reicht zur nachhaltigen Lösung der Problemsituationen der Betroffenen damit nicht aus. Die sozialen Sicherungssysteme müssen daher zweierlei leisten: Erstens müssen Personen, welche keinen Zugang (mehr) zum Arbeitsmarkt haben, so beraten und unterstützt werden, dass sie ihre Problemlagen strukturieren und damit bewältigen können. Integrationsmassnahmen müssen verstärkt auf die individuellen Bedürfnisse der Betroffenen ausgerichtet werden, sodass ihr Potential genutzt werden kann. Eine Mehrheit der Betroffenen selbst strebt eine berufliche Integration und damit Unabhängigkeit von Unterstützungsleistungen an, scheitert aber häufig an der Komplexität ihrer Problemsituation. Zweitens müssen die Systeme die Betroffenen wirksam gegen Armut absichern und gleichzeitig Anreize für eine Erwerbstätigkeit bzw. wirtschaftliche Selbständigkeit aufrecht erhalten (Gärtner / Flückiger, Probleme des Sozialstaats, NFP 45, S. 142 f.).

Rechtsprechung


Praxishilfen

Glossar zur Arbeitsintegration