Rechtsgrundlagen
SKOS-Richtlinien, Kapitel D.4.2
Erläuterungen
1. Einleitende Bemerkungen
Am 1. Januar 2017 ist das revidierte Kindesunterhaltsrecht (Art. 276 ff. ZGB) in Kraft getreten. Ziel dieser Revision war, das Recht des Kindes auf Unterhalt zu stärken, und zwar unabhängig vom Zivilstand seiner Eltern. Um dieses Ziel zu erreichen, hat der Bundesgesetzgeber unter anderem folgende Neuerungen beschlossen:
-
Die Unterhaltspflicht gegenüber einem minderjährigen Kind hat grundsätzlich Vorrang vor den übrigen familienrechtlichen Unterhaltspflichten (Art. 276a ZGB).
-
Jedes Kind hat Anspruch auf einen Unterhaltsbeitrag, der sich nicht auf die Deckung seines Barbedarfs beschränkt, sondern auch gewährleistet, dass es von der bestmöglichen Betreuung profitieren kann, sei es durch Dritte (z. B. eine Tagesmutter oder eine Krippe) oder durch die Eltern selbst (Art. 285 ZGB).
-
Mit einer neuen Regelung zu Mankofällen soll die Stellung des Kindes verbessert werden (Art. 286a ZGB).
-
Die Inkassohilfe für Unterhaltsbeiträge wird verbessert und gesamtschweizerisch vereinheitlicht. Der Bundesrat erhält die Kompetenz zum Erlass einer entsprechenden Verordnung (Art. 290 ZGB).
2. Elterliche Unterhaltspflicht
Die Eltern haben für den Unterhalt des Kindes aufzukommen, inbegriffen die Kosten von Betreuung, Erziehung, Ausbildung und Kindesschutzmassnahmen. Der Unterhalt wird durch Pflege und Erziehung oder, wenn das Kind nicht unter der Obhut der Eltern steht, durch Geldzahlung geleistet. Die Eltern sind von der Unterhaltspflicht in dem Masse befreit, als dem Kinde zugemutet werden kann, den Unterhalt aus seinem Arbeitserwerb oder andern Mitteln zu bestreiten (Art. 276 ZGB). Die Unterhaltspflicht dauert grundsätzlich bis zur Volljährigkeit des Kindes (Art. 277 Abs. 1 ZGB). Hat das Kind dann noch keine angemessene Ausbildung, so haben die Eltern, soweit es ihnen nach den gesamten Umständen zugemutet werden darf, für seinen Unterhalt aufzukommen, bis eine entsprechende Ausbildung ordentlicherweise abgeschlossen werden kann (Art. 277 Abs. 2 ZGB).
Während der Ehe tragen die Eltern die Kosten des Unterhaltes nach den Bestimmungen des Eherechts. Das gilt auch in Bezug auf Stiefkinder: Jeder Ehegatte hat dem andern in der Erfüllung der Unterhaltspflicht gegenüber vorehelichen Kindern in angemessener Weise beizustehen (Art. 278 ZGB). Dabei ist zu berücksichtigen, dass Stiefeltern allenfalls eine vorrangige Unterhaltspflicht gegenüber eigenen Kindern haben (Art. 276a ZGB).
3. Bemessung des Unterhaltsbeitrages
Auch das neue Kindesunterhaltsrecht nennt keine Zahlen oder Berechnungsmethoden. Im Gesetz heisst es nur, der Unterhaltsbeitrag solle den Bedürfnissen des Kindes sowie der Lebensstellung und Leistungsfähigkeit der Eltern entsprechen. Dabei sind das Vermögen und die Einkünfte des Kindes zu berücksichtigen (Art. 285 ZGB). Der Unterhaltsbeitrag dient - wie einleitend erwähnt - auch der Gewährleistung der Betreuung des Kindes durch die Eltern oder Dritte. Der Kindesunterhaltsbeitrag setzt sich also zusammen aus einem Barunterhalt und einem Betreuungsunterhalt.
Zum Barunterhalt gehören die direkten Kinderkosten, also beispielsweise die Kosten für die Ernährung, Unterkunft und Bekleidung des Kindes. Ihre Höhe hängt vom Alter des Kindes und von der Leistungsfähigkeit der Eltern ab. Dazu kommen weitere Ausgaben wie die Krankenkassenprämie oder Auslagen für die Schule und für Freizeitbeschäftigungen. Ebenso gehören zum Barunterhalt die im Zusammenhang mit einer Fremdbetreuung (z. B. für eine Tagesmutter oder Krippe) anfallenden Auslagen.
Mit dem Betreuungsunterhalt werden die finanziellen Auswirkungen der Betreuung durch die Eltern im Sinne von indirekten Kosten berücksichtigt. Es geht hier um die Sicherstellung des Lebensunterhalts des (hauptsächlich) betreuenden Elternteils, wenn dieser wegen der Kinderbetreuung keiner oder keiner ausreichenden Erwerbstätigkeit nachgehen und deshalb seinen eigenen Bedarf nicht oder nicht voll decken kann. Dieser Aspekt wurde nach altem Recht bei geschiedenen Eltern als Bestandteil des nachehelichen Unterhalts (Art. 125 Abs. 2 Ziff. 6 ZGB) berücksichtigt. Der geschiedene Ehegatte hatte Anspruch auf einen Unterhaltsbeitrag, wenn und soweit es ihm wegen des Alters der Kinder und der damit verbundenen Betreuungsaufgabe nicht zumutbar war, für den eigenen Unterhalt aufzukommen. Dies fällt nun weg: An die Stelle einer Berücksichtigung der Erwerbseinbusse im Rahmen des nachehelichen Unterhalts tritt nun der dem Kind zustehende Betreuungsunterhalt. Bei nicht verheirateten Eltern ist der Betreuungsunterhalt neu. Bisher wurde dieser Aspekt bei einer Trennung nicht berücksichtigt.
Wie der Betreuungsunterhalt konkret wird und wie lange er bezahlt werden muss, ergibt sich nicht aus dem Gesetz. Der Entscheid hierüber wird der Praxis überlassen. Familienzulagen, Sozialversicherungsrenten und ähnliche für den Unterhalt des Kindes bestimmte Leistungen, die dem Unterhaltspflichtigen zustehen, sind zusätzlich zum Unterhaltsbeitrag zu zahlen. Erhält der Unterhaltspflichtige infolge Alter oder Invalidität nachträglich Sozialversicherungsrenten oder ähnliche für den Unterhalt des Kindes bestimmte Leistungen, die Erwerbseinkommen ersetzen (darunter fallen auch BVG-Kinderrenten), so hat er diese Beträge dem Kind zu zahlen; der bisherige Unterhaltsbeitrag vermindert sich von Gesetzes wegen im Umfang dieser neuen Leistungen. Der Unterhaltspflichtige hat die Beträge der Sozialversicherungsrenten oder ähnlicher für den Unterhalt des Kindes bestimmter Leistungen auch dann vollumfänglich dem Kind zukommen zu lassen, wenn sie höher sind als der vom Gericht ursprünglich festgelegte Kinderunterhaltsbeitrag (vgl. Urteil des Bundesgerichts vom 11. September 2013, A5_496/2013).
Der Unterhaltsbeitrag ist zum Voraus auf die Termine zu entrichten, die das Gericht festsetzt (Art. 285 ZGB).
4. Unterhaltsklage
Ist ein Eheschutz-, ein Scheidungs- oder ein Trennungsverfahren anhängig, wird der Kinderunterhaltsbeitrag im Rahmen des betreffenden eherechtlichen Verfahrens festgelegt (Art. 176 Abs. 1Ziff. 1 ZGB, Art. 133 ZGB, Art. 118 ZGB in Verbindung mit Art. 176 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB). Ausserhalb eines solchen Verfahrens kann das Kind bzw. sein Vertreter im Rahmen einer selbständigen Unterhaltsklage gegen den Vater oder die Mutter oder gegen beide klagen auf Leistung des Unterhalts für die Zukunft und für ein Jahr vor Klageerhebung (Art. 279 ZGB). Ist die Klage eingereicht, so trifft das Gericht auf Begehren des Klägers bzw. der Klägerin für die Prozessdauer die erforderlichen vorsorglichen Massregeln (z.B. Hinterlegung oder vorläufige Zahlung von angemessenen Beiträgen; Art. 303 ZPO).
Für selbstständige Unterhaltsklagen der Kinder gegen ihre Eltern (also Unterhaltsklagen ausserhalb eines eherechtlichen Verfahrens) ist das Gericht am Wohnsitz einer der Parteien zwingend zuständig (Art. 26 ZPO). Selbstständige Unterhaltsklagen werden im vereinfachten Verfahren durchgeführt (Art. 295 ZPO).
5. Unterhaltsverträge
Unterhaltsbeiträge können auch im Rahmen einer aussergerichtlichen Vereinbarung festgelegt werden. Solche Unterhaltsverträge werden für das Kind allerdings erst mit der Genehmigung durch die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) verbindlich (Art. 287 Abs. 1 ZGB).
Wird der Unterhaltsvertrag aber in einem gerichtlichen Verfahren geschlossen, so ist für die Genehmigung das Gericht zuständig (Art. 287 Abs. 3 ZGB).
6. Erfüllung der Unterhaltspflicht
Der Anspruch auf Unterhaltsbeiträge (Bar- und Betreuungsunterhalt) steht dem Kind zu und wird, solange es minderjährig ist, durch Leistung an dessen gesetzlichen Vertreter oder den Inhaber der Obhut erfüllt (Art. 289 Abs. 1 ZGB). Sofern aber das Gemeinwesen (z.B. die Sozialbehörde) für den Unterhalt des Kindes aufkommt, geht der Anspruch mit allen Rechten auf das entsprechende Gemeinwesen über Art. 289 Abs. 2 ZGB). Vgl. dazu auch Kapitel 17.2.02.
7. Änderung der Verhältnisse
Ein in einem Unterhaltsvertrag vereinbarter oder durch ein Gerichtsurteil festgelegter Unterhaltsbeitrag kann angepasst werden, wenn sich die Umstände verändern (Art. 286 ZGB). Nicht jede geringfügige Veränderung führt allerdings zu einer Anpassung.
Bei erheblicher Veränderung der Verhältnisse setzt das Gericht den Unterhaltsbeitrag auf Antrag eines Elternteils oder des Kindes neu fest oder hebt ihn auf (Art. 286 Abs. 2 ZGB). Ob eine Veränderung erheblich ist oder nicht, liegt im richterlichen Ermessen und ist von den Umständen des Einzelfalls abhängig. Bei knappen Verhältnissen kann eine kleinere Veränderung eher erheblich sein als bei guten Verhältnissen.
Nach der Rechtsprechung muss die Veränderung nicht nur erheblich, sondern zudem dauerhaft und unvorhergesehen sein. Hat ein unterhaltspflichtiger Elternteil zum Beispiel vorübergehend eine Lohneinbusse, geht dies zu seinen Lasten. Unvorhergesehen meint, dass die Veränderung bei der erstmaligen Festsetzung des Unterhaltsbeitrags noch nicht berücksichtigt werden konnte.
Unter denselben Voraussetzungen (erhebliche, dauerhafte und unvorhergesehene Veränderung) können vertraglich festgelegte Unterhaltsbeiträge geändert werden, soweit dies nicht mit Genehmigung der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde ausgeschlossen worden ist (Art. 287 Abs. 2 ZGB).
8. Mankofälle
Werden im Gerichtsentscheid oder im Unterhaltsvertrag Unterhaltsbeiträge festgelegt, so ist nach Art. 301a ZPO bzw. Art. 287a ZGB darin anzugeben
-
von welchem Einkommen und Vermögen jedes Elternteils und jedes Kindes ausgegangen wird;
-
welcher Betrag für jedes Kind bestimmt ist;
-
welcher Betrag zur Deckung des gebührenden Unterhalts jedes Kindes fehlt;
-
ob und in welchem Ausmass die Unterhaltsbeiträge den Veränderungen der Lebenskosten angepasst werden.
Diese Angaben sind nicht nur wichtig, wenn eine Abänderung des Kindesunterhalts im Sinne von Art. 286 ZGB im Raum steht (vgl. vorstehend Ziff. 7). Auch für eine allfällige Nachforderung (Art. 286a ZGB) wird vorausgesetzt, dass der zur Deckung des gebührenden Unterhalts fehlende Betrag ausdrücklich im Entscheid oder im Unterhaltsvertrag beziffert wird.
Nach Art. 286a ZGB hat das Kind bei einer ausserordentlichen Verbesserung der Verhältnisse des unterhaltspflichtigen Elternteils Anspruch darauf, dass dieser Elternteil diejenigen Beträge zahlt, die während der letzten fünf Jahre, in denen der Unterhaltsbeitrag geschuldet war, zur Deckung des gebührenden Unterhalts fehlten.
Ob eine ausserordentliche Verbesserung der Verhältnisse vorliegt, ist im Einzelfall zu prüfen. In der Regel werden wohl blosse Einkommenssteigerungen nicht genügen für eine Nachforderung nach Art. 286a ZGB. Zu beachten ist nämlich, dass zuerst der laufende bzw. künftige Unterhalt gesichert sein muss, bevor eine Nachforderung im Sinne von Art. 286a ZGB in Frage kommt. Das bedeutet dass bei einer Verbesserung der Verhältnisse des unterhaltpflichtigen Elternteils zunächst der laufende Unterhaltsbeitrag, notfalls mit einer Abänderungsklage nach Art. 286 Abs. 2 ZGB, so erhöht werden muss, dass er den gebührenden Unterhalt des Kindes deckt. Erst danach kann eine Nachforderung in Frage kommen. Eine Einkommenssteigerung müsste also derart hoch sein, dass damit nicht nur eine Nachzahlung für die vergangenen fünf Jahre, sondern auch der laufende und künftige Unterhalt ohne grosse Schwierigkeiten geleistet werden kann. Eine ausserordentliche Verbesserung der Verhältnisse im Sinne von Art. 286a ZGB wird daher in aller Regel wohl nur im Falle eines Vermögenszuwachses (z.B. durch Erbschaft, Schenkung oder Lotteriegewinn) vorliegen.
Für das Verfahren gilt der Untersuchungs- und der Offizialgrundsatz (Art. 296 ZPO). Der Anspruch muss innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der ausserordentlichen Verbesserung geltend gemacht werden (Art. 286a Abs. 2 ZGB). Er geht mit allen Rechten auf den anderen Elternteil oder auf das Gemeinwesen über, soweit dieser Elternteil oder das Gemeinwesen für den fehlenden Anteil des gebührenden Unterhalts aufgekommen ist (Art. 286a Abs. 3 ZGB).
9. Ansprüche der unverheirateten Mutter
Die Mutter kann spätestens bis ein Jahr nach der Geburt gegen den Vater oder dessen Erben auf Ersatz klagen:
-
für die Entbindungskosten,
-
für die Kosten des Unterhaltes während mindestens vier Wochen vor und mindestens acht Wochen nach der Geburt,
-
für andere infolge der Schwangerschaft oder der Entbindung notwendig gewordene Auslagen unter Einschluss der ersten Ausstattung des Kindes.
Aus Billigkeit kann das Gericht teilweisen oder vollständigen Ersatz der entsprechenden Kosten zusprechen, wenn die Schwangerschaft vorzeitig beendigt wird. Leistungen Dritter, auf welche die Mutter nach Gesetz oder Vertrag Anspruch hat, sind anzurechnen, soweit es die Umstände rechtfertigen (Art. 295 ZGB).
10. Verhältnis zwischen elterlicher und ehelicher Unterhaltspflicht
Die elterliche Unterhaltspflicht, namentlich diejenige nach Art. 277 Abs. 2 ZGB für das volljährige, sich noch in (Erst-)Ausbildung befindende Kind (vgl. vorstehend Ziff. 1), geht mit der Heirat des Kindes nicht unter. Bei der Prüfung der Frage, ob die elterliche oder die mit der Heirat entstandene eheliche Unterhaltspflicht (vgl. dazu Kapitel 17.1.01) Vorrang hat, ist auf den konkreten Einzelfall abzustellen. Ist sein Ehegatte erwerbstätig bzw. verfügt er über andere Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhaltes, so haben er und die Eltern im Verhältnis zu ihrer Leistungsfähigkeit für den Unterhalt des Kindes aufzukommen. Ist der Ehegatte aber selbst bedürftig, müssen die leistungsfähigen Eltern (soweit die Voraussetzungen nach Art. 277 Abs. 2 ZGB erfüllt sind) trotz der Heirat für den Unterhalt ihres Kindes (nicht aber für den Unterhalt des Ehegatten) aufkommen.
Rechtsprechung
Praxishilfen