12.2.03. Pflegekinder

Rechtsgrundlagen

Art. 316 ZGBArt. 264 ff. ZGB

Verordnung über die Aufnahme von Pflegekindern vom 19. Oktober 1977 (Pflegekinderverordnung, PAVO), SR 211.222.338

Verordnung über die Adoption vom 29. Juni 2011 (Adoptionsverordnung, AdoV), SR 211.221.36

Gesetz über die Einführung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches vom 27. Juni 1911. SHR 210.100

Kantonale Pflegekinderverordnung vom 22. Mai 2018, SHR 211.224

Erläuterungen

1.   Aufnahme von Pflegekindern zur Betreuung und Erziehung

1.1.   Bewilligung

Wer Pflegekinder aufnimmt, bedarf einer Bewilligung der zuständigen Behörde des Wohnorts und untersteht der staatlichen Aufsicht (Art. 316 ZGB, Art. 1 PAVO).

  1. Zuständigkeit

Im Bereich der Familien-, Heim- und Tagespflege ist die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) am Ort der Unterbringung des Minderjährigen die zuständige Behörde für die Erteilung der Bewilligung (Art. 2 Abs. 1 lit. a PAVO). Die Kantone können diese Aufgabe auch anderen geeigneten Behörden oder Stellen übertragen (Art. 2 Abs. 2 PAVO).

Im Kanton Schaffhausen wird die Bewilligung von der KESB, dem Amt für Justiz und Gemeinden im Zusammenhang mit Adoptionen und dem Sozialamt bei Einrichtungn mit mehr als sechs Minderjährigen erteilt.

  1. Bewilligungspflicht

Der Bewilligungspflicht untersteht nach Bundesrecht, wer ein Kind für mehr als einen Monat entgeltlich oder für mehr als drei Monate unentgeltlich zur Pflege und Erziehung in seinen Haushalt aufnehmen will. Unabhängig von der Dauer der Aufnahme benötigt eine Bewilligung, wer entgeltlich oder unentgeltlich Kinder regelmässig im Rahmen von Kriseninterventionen in seinen Haushalt aufnehmen will. Die Bewilligungspflicht besteht auch, wenn das Kind von einer Behörde untergebracht wird und wenn es das Wochenende nicht in der Pflegefamilie verbringt (Art. 4 PAVO). Überdies dürfen die Kantone zum Schutz von Minderjährigen, die ausserhalb des Elternhauses aufwachsen, Bestimmungen erlassen, die über die Vorschriften der PAVO hinausgehen (Art. 3 Abs. 1 PAVO).

Im Kanton Zürich gilt die Bewilligungspflicht für Kinder und Jugendliche bis zum vollendeten 18. Altersjahr, deren Pflege und Erziehung für länger als zwei Monate anderen Personen als den Eltern anvertraut und die nicht in einem Jugendheim untergebracht sind (§ 10 Abs. 2 Gesetz über die Jugendheime und die Pflegekinderfürsorge).

  1. Ausnahmen von der Bewilligungspflicht

Keine Bewilligung ist erforderlich für die Betreuung und Vermittlung im Rahmen von Schüleraustauschprogrammen, Au-pair-Einsätzen sowie vergleichbaren Aufenthalten ausserhalb des Elternhauses, die nicht behördlich angeordnet werden (Art. 1 Abs. 4 PAVO). Diese Ausnahmeregelung kommt zur Anwendung, wenn der ausserhäusliche Aufenthalt nicht eigentlichen Betreuungszwecken dient, sondern wenn minderjährige Personen ausserhalb des Elternhauses übernachten, weil z.B. die Schule oder die Lehrstätte zu weit vom Elternhaus entfernt ist.

  1. Bewilligungserteilung

Die Bewilligung darf nur erteilt werden, wenn die Pflegeeltern und ihre Hausgenossen nach Persönlichkeit, Gesundheit und erzieherischer Eignung sowie nach den Wohnverhältnissen für gute Pflege, Erziehung und Ausbildung des Kindes Gewähr bieten und das Wohl anderer in der Pflegefamilie lebender Kinder nicht gefährdet wird (Art. 5 PAVO, § 5 Abs. 2 Verordnung über die Pflegekinderfürsorge).

Zur Abklärung der Verhältnisse kann die KESB die Dienste des Amtes für Jugend und Berufsberatung beanspruchen (§ 5 Abs. 1 Verordnung über die Pflegekinderfürsorge, vgl. auch Art. 7 PAVO).

Die Bewilligung kann befristet und mit Auflagen und Bedingungen verbunden werden (Art. 8 Abs. 2 PAVO).

Wird keine Adoption angestrebt, so kann ein ausländisches Kind, das bisher im Ausland gelebt hat, in der Schweiz nur aufgenommen werden, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Die Pflegeeltern müssen eine schriftliche Erklärung des nach dem Recht des Herkunftslandes des Kindes zuständigen gesetzlichen Vertreters vorlegen, in der dieser angibt, zu welchem Zweck das Kind in der Schweiz untergebracht werden soll. Zudem müssen sich die Pflegeeltern schriftlich verpflichten, ohne Rücksicht auf die Entwicklung des Pflegeverhältnisses für den Unterhalt des Kindes in der Schweiz wie für den eines eigenen aufzukommen und dem Gemeinwesen die Kosten zu ersetzen, die es an ihrer Stelle für den Unterhalt des Kindes getragen hat (Art. 6 PAVO). Diese Voraussetzungen gelten nur dann nicht, wenn die Eltern des aufzunehmenden, im Ausland lebenden Kindes eine Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung in der Schweiz besitzen oder wenn das Kind auf Anordnung oder durch Vermittlung einer Bundesbehörde untergebracht wird (Art. 6b PAVO). Die zuständige KESB überweist die Bewilligung zur Aufnahme eines ausländischen Kindes, das bisher im Ausland gelebt hat, mit ihrem Bericht über die Pflegefamilie der kantonalen Ausländerbehörde, welche über die Visumserteilung oder die Zusicherung der Aufenthaltsbewilligung für das Kind entscheidet (Art. 8a PAVO). Die Bewilligung für die Aufnahme des ausländischen Kindes, das bisher im Ausland gelebt hat, wird erst wirksam, wenn das Visum erteilt oder die Aufenthaltsbewilligung zugesichert ist (Art. 8 Abs. 4 PAVO).

  1. Entzug der Bewilligung

Sind die Voraussetzungen für die Bewilligungserteilung (Art. 5 PAVO, § 5 Abs. 2 Verordnung über die Pflegekinderfürsorge) nicht mehr erfüllt, wird die Bewilligung entweder dauernd oder vorübergehend für ein bestimmtes Kind oder allgemein entzogen (§ 8 Verordnung über die Pflegekinderfürsorge, vgl. auch Art. 11 PAVO).

1.2.   Aufsicht

Im Kanton Schaffhausen obliegt die Aufsicht der KESB, dem Amt für Justiz und Gemeinden im Zusammenhang mit Adoptionen und dem Sozialamt bei Einrichtungen mit mehr als sechs Minderjährigen .

1.3.   Pflegegeld

Pflegeeltern haben Anspruch auf ein angemessenes Pflegegeld, sofern nichts Abweichendes vereinbart ist oder sich eindeutig aus den Umständen ergibt. Unentgeltlichkeit ist dann zu vermuten, wenn Kinder von nahen Verwandten oder zwecks späterer Adoption aufgenommen werden (Art. 294 ZGB).

Für die Festlegung des Pflegegeldes und der Nebenkosten stellt das Amt für Jugend und Berufsberatung Pflegegeld-Richtlinien für Dauer- und Wochenpflegeplätze zur Verfügung. Diese sehen je nach Betreuungsverhältnis unterschiedliche Ansätze vor.

Das Pflegegeld beinhaltet einerseits eine Entschädigung für die Betreuung und Erziehung, andererseits Auslagen für Unterkunft, Ernährung und Nebenkosten. Zu den Nebenkosten zählen insbesondere Auslagen für Toilettenartikel, kleine Haushaltanschaffungen (z.B. Bettwäsche), Reinigung, Energie, Freizeit und Taschengeld. Daneben wird eine Ausgabenposition für Bekleidung berücksichtigt, sofern die Eltern die Bekleidung nicht selbst kaufen.

Auslagen für Abonnements des öffentlichen Verkehrs, Krankenkassenprämien, Selbstbehalte von Arztrechnungen, Zahnarztkosten, Ferien, Lager, Sport, Musikunterricht, Kurse und Ähnliches werden separat verrechnet. Sie sind im Voraus (bei Bedarf schriftlich) abzumachen und müssen auf Verlangen belegt werden.

Das Pflegegeld und die letztgenannten Auslagen (mit Ausnahme der Krankenkassenprämien) können aus Mitteln der öffentlichen Sozialhilfe übernommen werden. Zuständig hierfür ist der Unterstützungswohnsitz des Kindes, d.h.

  • bei nicht dauernd fremdplatzierten Kindern im interkantonalen Bereich der abgeleitete bzw. eigene Unterstützungswohnsitz nach Art. 7 Abs. 1 und 2 ZUG und im innerkantonalen Bereich der abgeleitete Unterstützungswohnsitz nach § 37 Abs. 1 und 2 SHG (vgl. Kapitel 3.2.03).

  • bei dauernd fremdplatzierten Kindern im interkantonalen Bereich der eigene Unterstützungswohnsitz nach Art. 7 Abs. 3 lit. c ZUG und im innerkantonalen Bereich der eigene Unterstützungswohnsitz nach § 37 Abs. 3 lit. c SHG (vgl. Kapitel 3.2.03).

Kommen die Eltern nicht selbst für das Pflegegeld und die weiteren Auslagen auf, hat der Unterstützungswohnsitz des Kindes hierfür Kostengutsprache zu leisten. Der Unterhaltsanspruch des Kindes geht in diesem Umfang gestützt auf Art. 289 Abs. 2 ZGB auf die für das Kind sozialhilferechtlich zuständige Gemeinde, d.h. auf den Unterstützungswohnsitz des Kindes, über. Sie kann die Eltern zur Leistung eines entsprechenden Unterhaltsbeitrages anhalten und, falls keine Einigung zustande kommt, die Eltern auf Leistung eines Unterhaltsbeitrages einklagen (Art. 279 ZGB). Sind die Eltern nicht leistungsfähig, verbleibt die Kostentragung beim Unterstützungswohnsitz des Kindes. Diese Auslagen können nach ZUG (vgl. Kapitel 18.2) oder SHG (Kapitel 18.3) weiterverrechnet werden und sie sind gestützt auf § 45 SHG staatsbeitragsberechtigt.

Ist das Kind nicht dauernd fremdplatziert, bildet es zusammen mit der Familie eine Unterstützungseinheit. Reichen die Mittel der Familie nicht aus, um für das Pflegegeld und die weiteren Auslagen aufzukommen, würden in solchen Fällen alle Familienmitglieder sozialhilfeabhängig. Um dies zu vermeiden, rechtfertigt es sich, in Abweichung von den SKOS-Richtlinien (vgl. § 17 Abs. 1 letzter Satz SHV) das nicht dauernd fremdplatzierte Kind als eigenen Unterstützungsfall zu führen und die Unterstützungsleistungen entsprechend zu berechnen. Als eigener Unterstützungsfall zu führen ist auch das nicht dauernd fremdplatzierte Kind, wenn sich die Eltern weigern, für das Pflegegeld und die weiteren Auslagen aufzukommen, obwohl sie dazu in der Lage wären.

Die Entschädigung für die Betreuung und Erziehung ist sozialabgabepflichtig. Sie stellt also ein Einkommen dar, auf welches Sozialversicherungsbeiträge zu entrichten sind. Ob die Pflegeeltern AHV-rechtlich als selbständig- oder unselbständig erwerbend gelten, hängt von verschiedenen Faktoren ab (vgl. Merkblatt des Amtes für Jugend und Berufsberatung betreffend Sozialversicherungen und Arbeitsentschädigungen Pflegeeltern). Bei in Bezug auf das Pflegekind unselbständig erwerbenden Pflegeeltern werden die Sozialversicherungsbeiträge durch die zuständige Gemeinde (in der Regel zivilrechtliche Wohngemeinde des Kindes) abgerechnet. Da es sich um Folgekosten der Fremdplatzierung handelt und diese insofern ebenfalls zu den Unterhaltskosten zählen, für welche die Eltern bei genügenden finanziellen Mitteln aufzukommen hätten, können die in diesem Zusammenhang anfallenden Sozialversicherungsbeiträge durch die für die Sozialhilfe zuständige Behörde als wirtschaftliche Hilfe übernommen werden (vgl. dazu VB.2018.00394). Sind die Pflegeeltern selbständig erwerbend, sind sie nach Art. 8 AHVG gegenüber der AHV/IV/EO beitragspflichtig. Soweit Pflege- und Tageseltern nicht als selbständig Erwerbende der Versicherung angeschlossen sind, haben sie sich bei der AHV-Zweigstelle ihres Wohnortes anzumelden.


Rechtsprechung

VB.2018.00394, E.3.4: Die auf dem Pflegegeld zu entrichtenden Sozialversicherungsabgaben des Arbeitgebers sind (bei unselbständig erwerbstätigen Pflegeeltern) von Gesetzes wegen zu leisten. Sie sind Folgekosten der Fremdplatzierung bzw. Unterhaltskosten, für welche die Eltern bei genügenden finanziellen Mitteln aufzukommen hätten und können im Rahmen der wirtschaftlichen Hilfe übernommen werden.

VB.2010.00377: Rechtsgrundlagen betreffend Ausrichtung wirtschaftlicher Hilfe, insbesondere situationsbedingter Leistungen (E. 2). Im Rahmen des Entscheids über die Kostenübernahme der vorübergehenden Platzierung der Kinder bei den Pflegeeltern (Beschwerdegegner 2 und 3) befindet das Gemeinwesen (Beschwerdeführerin) auch vorfrageweise über die Weiterführung der Platzierung (E. 4.2), wovon aufgrund der Ausführungen der Beiständin und der Bereitschaft der Beschwerdeführerin, bei Widerlegung der gesetzlichen Vermutung der Unentgeltlichkeit eine im bisherigen Umfang gewährte Kostenübernahme zu prüfen, zumindest bis Sommer 2010 auszugehen ist (E. 4.2.2-3). Die gesetzliche Vermutung der Unentgeltlichkeit von Art. 294 Abs. 2 ZGB entfällt, wenn ein Entgelt ausdrücklich verabredet ist (E. 4.3). Überdies haben die Pflegeeltern Anspruch auf Ersatz der Aufwendungen für den mittelbaren Unterhalt (E. 4.3.1). In Anbetracht der ausgewiesenen Einkommenslage der Beschwerdegegner 2 und 3 und aufgrund der Tatsache, dass die Beschwerdeführerin in der vorliegenden Angelegenheit keine Kostentragung gestützt auf die Verwandtenunterstützungspflicht im Sinn von Art. 329 ZGB verlangt, ist nicht davon auszugehen, dass es die wirtschaftliche Situation der Pflegeeltern (Grossmutter und ihr Ehemann) ohne Weiteres erlauben würde, ihnen die Aufwendungen für die Pflege der Kinder vollumfänglich zu überlassen (E. 4.3.2). Angesichts der Vereinbarungen, welche die Beschwerdegegnerschaft für den vorliegend relevanten Zeitraum getroffen hat, ist von der Entgeltlichkeit der Pflegeleistungen auszugehen. Da die Beschwerdegegnerin 1 unbestrittenermassen als mittellos gilt und da bis Sommer 2010 die Weiterführung der Platzierung der beiden Kinder vorgesehen ist, hat die Beschwerdeführerin die vereinbarten Pflegeplatzkosten grundsätzlich zu übernehmen (E. 4.4). In der Vergangenheit bestand bereits eine Vereinbarung zwischen den Beschwerdegegnern über die Leistung eines Betrags in Höhe von monatlich Fr. 130.- pro Kind, weshalb die Beschwerdeführerin den Beschwerdegegnern 2 und 3 diesen Betrag während des beantragten Zeitraums zu bezahlen hat (E. 5.2). Die in den Pflegeverträgen festgelegten Dauerpflegevereinbarungen entsprechen nicht den gelebten Verhältnissen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass sich die Kinder unter der Woche bei den Beschwerdegegnern 2 und 3 aufhalten (E. 5.3.2). Folglich kommt vorliegend der Tarif für Wochenpflegeplätze der Pflegegeld-Richtlinien zur Anwendung (E. 5.3.3), weshalb sich das Pflegegeld im Vergleich zum von der Vorinstanz zugesprochenen Betrag reduziert (E. 5.4).

VB.2010.00411: Im Falle einer behördlich angeordneten (Entzug der elterlichen Obhut) und mit einer Kostengutsprache verbundenen Platzierung eines Kindes in eine Pflegefamilie gilt nicht der sorgeberechtigte Elternteil, sondern das Gemeinwesen als Schuldner des Pflegevertrages. Dieses kann gegebenenfalls lediglich gestützt auf Art. 289 Abs. 2 ZGB Regress nehmen. Will das Gemeinwesen geltend machen, aufgrund veränderter Verhältnisse würden die vertraglich vereinbarten Leistungen nicht mehr erfüllt, hat es solche Vertragsmängel auf dem zivilrechtlichen Weg zu rügen oder den Pflegevertrag zu kündigen. Unterlässt es dies, schuldet es den Pflegeeltern das im Pflegevertrag vereinbarte Pflegegeld. Daran ändert auch nichts, wenn die Kostengutsprache aufgrund der veränderten Verhältnisse widerrufen und in reduziertem Umfang wieder erteilt wird.

Praxishilfen

Merkblätter, Informationen und Muster zu den Themen Pflegekinder und Adoption stellt das Amt für Jugend und Berufsberatung zur Verfügung.

Weitere Informationen zum Thema Adoption stellt die Schweizerische Fachstelle für Adoption zur Verfügung.