Erläuterungen
1. Definition Aufenthaltsgemeinde
Die Aufenthaltsgemeinde einer Person befindet sich grundsätzlich dort, wo sie sich tatsächlich aufhält (Art. 11 Abs. 1 ZUG i.V.m. Art. 8 Abs. 3 SHEG, ohne aber ihren Unterstützungswohnsitz zu haben (vgl. Kapitel 3.2.01 und Kapitel 3.2.03).
Beispiele:
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die Anwesenheit ohne Niederlassungsabsicht, z.B. bei Personen auf Durchreise oder die vorübergehende Anwesenheit zu einem besonderen Zweck (z. B. Praktikum, Saisonstelle, Militärdienst),
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die Anwesenheit einer Person in einem Heim, einem Spital, einer Anstalt oder einer Pflegefamilie, in die sie von einem anderen Kanton, einer anderen Gemeinde oder vom Ausland (Art. 5 ZUG i.V.m. Art. 8 Abs. 3 SHEG) eingetreten ist,
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die Anwesenheit eines minderjährigen Kindes, dessen Wohnsitz sich in einem anderen Kanton oder in einer anderen Gemeinde befindet (Art. 7 ZUG i.V.m. Art. 8 Abs. 3 SHEG).
(Siehe Thomet, Kommentar zum Bundesgesetz über die Zuständigkeit für die Unterstützung Bedürftiger (ZUG), 2.A., Zürich 1994, Rz 167).
2. Zuständigkeit für die Hilfeleistung der Aufenthaltsgemeinde
2.1. Zuständigkeit für die Leistung von Notfallhilfe
Ist eine Person ausserhalb ihres Wohnortes auf dringliche Hilfe angewiesen, muss der Aufenthaltskanton bzw. die Aufenthaltsgemeinde ihr diese zukommen lassen.
(Zu den Anspruchsvoraussetzungen für Notfallhilfe siehe Kapitel 5.3.02)
2.2. Zuständigkeit für die Leistung ordentlicher Unterstützung
Personen ohne Unterstützungswohnsitz in der Schweiz, die sich hier ständig aufhalten und über eine Aufenthaltsberechtigung im Kanton Zürich verfügen, müssen im Kanton Zürich durch die Aufenthaltsgemeinde ordentlich unterstützt werden (vgl. dazu Kapitel 5.3.01). Das gilt nicht für Personen, die trotz Aufenthaltsberechtigung im Kanton Zürich bundesrechtlich oder gestützt auf das Sozialhilfegesetz vom Bezug ordentlicher Sozialhilfe ausgeschlossen sind. Für sie ist ein Anspruch auf Notfallhilfe zu prüfen (vgl. dazu Kapitel 5.3.02, Kapitel 6.1.02 und Kapitel 6.2.02).
Wenn eine Person ohne Unterstützungswohnsitz ihren ständigen Aufenthaltsort ohne behördliches Zutun verlässt, wird die neue Aufenthaltsgemeinde für die Unterstützung zuständig. Dasselbe gilt auch, wenn die betroffene Person - ohne dass die bisher zuständige Behörde hierfür Kostengutsprache geleistet hätte oder sie ärztlich in die Institution eingewiesen worden wäre - in eine Einrichtung in einer anderen Gemeinde eintritt.
Zur Klärung von Zuständigkeitsstreitigkeiten vgl. Kapitel 3.3.01 (innerkantonal) und Kapitel 3.3.03 (interkantonal).
2.3. Ausnahmen
Wird eine offensichtlich hilfsbedürftige Person (v.a. infolge Krankheit oder Unfall) auf ärztliche oder behördliche Anordnung in einen anderen Kanton oder eine andere Gemeinde verbracht, gilt der Kanton bzw. die Gemeinde als Aufenthaltsort, von wo aus die Zuweisung erfolgte (Art. 11 Abs. 2 ZUG i.V.m. Art. 8 Abs. 3 SHEG). Der neue Aufenthaltsort ist sozialhilferechtlich weder für die Unterstützung noch für die Kostentragung zuständig (vgl. Kapitel 3.2.01).
Beispiele:
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Eine drogenabhängige, wohnsitzlose Person wird in Bassersdorf unterstützt. Sie entschliesst sich zu einer Drogentherapie in Zürich. Bassersdorf leistet dafür Kostengutsprache und bleibt sozialhilferechtlich zuständig, auch wenn sich die betroffene Person während der Therapie in Zürich aufhält.
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Eine Touristin macht auf einem Campingplatz im Kanton Zürich Ferien. Sie erkrankt schwer und wird mit der Ambulanz in das nächstgelegene Spital im Kanton Zug gebracht. Die sozialhilferechtliche Zuständigkeit bleibt im Kanton Zürich.
3. Parallele Aufenthaltsorte bei Personen ohne Unterstützungswohnsitz
Der offengehaltene und nur auf das objektive Element der Anwesenheit an einem Ort abstellende Aufenthaltsbegriff bewirkt, dass eine Person den Aufenthaltsort häufig, also auch mehrmals täglich, wechseln kann. In besonderen Fällen können daher mehrere Orte als Aufenthaltsorte in Betracht kommen. Die Funktion des Aufenthaltsortes, das unterstützungspflichtige Gemeinwesen zu bestimmen, schliesst die Annahme mehrerer konkurrierender unterstützungsbegründender Aufenthalte aus. Ein Aufenthalt gilt deshalb als nicht unterbrochen, wenn eine Person sich vorübergehend anderswo aufhält. Bestehen in einem gleichen Zeitraum mehrere Aufenthaltsorte nebeneinander, muss an jenem Ort die Unterstützung geleistet werden, zu welchem die engste Beziehung besteht, und an welchen die betroffene Person immer wieder zurückkehrt.
Beispiele:
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Eine Touristin ist im Tessin in den Ferien und hat dort eine Ferienwohnung für drei Wochen gemietet. Bei einem Ausflug nach Zürich verunfallt sie und muss medizinisch versorgt werden. Der Kanton Zürich muss zwar Notfallhilfe leisten, der Kanton Tessin bleibt aber der sozialhilferechtlich für die Kostentragung zuständige Aufenthaltskanton.
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Ein Mann ohne Wohnsitz ist in einer Obdachloseneinrichtung in Winterthur untergebracht. Er ist über Ostern bei seiner Tante in Wädenswil eingeladen und wird nach den Feiertagen wieder nach Winterthur zurückkehren. Die Unterstützungszuständigkeit bleibt in Winterthur.
Häufig liegt aber keine Konkurrenz verschiedener Aufenthaltsorte vor, weil sie nicht nebeneinander bestehen bleiben, sondern sich jeweils ablösen. Das ist der Fall, wenn jemand umherzieht und den Aufenthaltsort ständig wechselt, ohne Rückkehrabsichten zum vorherigen Aufenthaltsort bzw. ohne mit dem Aufenthalt am neuen Ort einen Sonderzweck zu verfolgen.
4. Der Wochenaufenthalt
Fallen Arbeits- oder Ausbildungsort mit Unterkunft und Wohnort einer Person auseinander, so gilt in der Regel der Wohnort, wo die Person auch gemeldet ist und ihre politischen Rechte ausübt, als Wohnsitz. Die Person hält sich lediglich zu einem Sonderzweck am Aufenthaltsort auf und die Unterstützungszuständigkeit bleibt beim Hauptdomizil. Der Aufenthaltsort muss höchstens Nothilfe leisten. Möchte das Hauptdomizil geltend machen, der Unterstützungswohnsitz befinde sich am Ort, wo eine Person als Wochenaufenthalterin gemeldet ist, ist es dafür beweispflichtig. Dies wäre beispielsweise dann der Fall, wenn
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die betroffene Person kaum mehr an ihr Hauptdomizil zurückkehrt, obwohl dies zeitlich und örtlich möglich wäre
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am Wochenaufenthaltsort über eine eigene Wohnung verfügt
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am Wochenaufenthaltsort in einer festen Partnerschaft lebt
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etc.
In diesen Fällen dient der Aufenthalt nicht mehr in erster Linie einem Sonderzweck, sondern die inneren und äusseren Elemente des Unterstützungswohnsitzes sind gegeben (vgl. Kapitel 3.2.01).
Rechtsprechung
Urteil des Bundesgerichts 2A.345/2002 (09.05.2003) vom 9. Mai 2003: Sozialhilfe, interkantonale Zuständigkeit bei einem Drogenabhängigen, der keinen Unterstützungswohnsitz mehr hat und sich in mehreren Kantonen in Institutionen behandeln lässt (Art. 4 ZUG; E. 2). Der Unterstützungswohnsitz kann (vorübergehend) ohne Ersatz aufgehoben werden (Art. 9 Abs. 3 ZUG; E. 3.2). Der Kanton Bern als vorübergehender Aufenthaltskanton kann nicht zur Übernahme der in einem andern Kanton angefallenen Therapiekosten verpflichtet werden, wenn die Zuweisung in das Heim nicht von Bern aus erfolgt ist (Art. 11 Abs. 2 ZUG; E. 3.2-3.5).
VB.2015.00418: (Analoge) Anwendung der Art. 13 f. ZUG auf Fälle, in welchen der Aufenthaltskanton einstweilen (unpräjudiziell) finanzielle Unterstützung leistet, weil sich der Kanton des Unterstützungswohnsitzes wegen vermeintlicher Unzuständigkeit weigert, eine bedürftige Person zu unterstützen (E. 4.3).
VB.2008.00291: Rechtsgrundlagen der Unterstützungspflicht für Ausländer (E. 2.1). Definition des Aufenthalts nach dem Zuständigkeitsgesetz (ZUG; E. 2.2). Wann ein die kantonale Unterstützungszuständigkeit ändernder Aufenthaltswechsel vorliegt, regelt das ZUG nicht; ein solcher ist bei Ausländern ohne Wohnsitz in der Schweiz zurückhaltend anzunehmen (E. 2.3). A wollte im Kanton X Wohnsitz nehmen, doch konnte er sich in der Unterkunft der Heilsarmee nicht polizeilich anmelden. Er hätte sich somit auf einen Unterstützungswohnsitz berufen können und war als EU-Bürger berechtigt, sich in der Schweiz niederzulassen oder mindestens aufzuhalten (E. 4.1.1 und 2). Es ist fraglich, ob er die Heilsarmeeunterkunft freiwillig verliess (E. 4.2). Er verfügt über eine engere Beziehung zum Kanton X und hielt sich dort über zwei Monate tatsächlich auf, so dass er dort seinen Aufenthalt begründete (E.4.2.2). Als er im Hauptbahnhof Zürich aufgegriffen wurde, war er auf dem Weg zum Konsulat; dies und die blosse Leistung der Nothilfe durch den Kanton Zürich führte nicht zu einem Wechsel des Aufenthaltskantons. Deshalb bleibt der Beschwerdeführer als sein Aufenthaltskanton unterstützungspflichtig (E. 4.3.2 und 3).
Dieses Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich wurde bestätigt mit Urteil des Bundesgerichts vom 25. Februar 2009, 8C_852/2008.
VB.2000.00184 (nicht publiziert): Eine Person ohne fürsorgerechtlichen Wohnsitz muss am Aufenthaltsort in der Regel ordentlich unterstützt werden, die Aufenthaltsgemeinde hat ihr also prinzipiell vollumfänglich Hilfe zu leisten.
Praxishilfen