3.3.03. Interkantonale Zuständigkeitskonflikte

Rechtsgrundlagen

Bundesgesetz über die Zuständigkeit für die Unterstützung Bedürftiger vom 24. Juni 1977 (ZUG) (SR 851.1)

Gesetz über die öffentliche Sozialhilfe und soziale Einrichtungen (SHEG) vom 28. Oktober 2013 (SHR 850.100)

Verordnung über die öffentliche Sozialhilfe und soziale Einrichtungen (SHEV) vom 18. Februar 2014 (SHR 850.111)

Erläuterungen

1.    Interkantonale Zuständigkeit

Das ZUG bestimmt, welcher Kanton für die Unterstützung einer bedürftigen Person zuständig ist (zur Zuständigkeitsordnung des ZUG vgl.Kapitel 3.1 und Kapitel 3.2). Welche Behörde innerkantonal zuständig ist, ergibt sich aus der Sozialhilfegesetzgebung der einzelnen Kantone.

2.    Zuständigkeitsprüfung von Amtes wegen

Gemäss § 19 Abs. 1 SHEV prüft die Sozialhilfebehörde ihre Zuständigkeit von Amtes wegen. Im innerkantonalen Bereich sieht diese Regelung zudem vor, dass die Sozialhilfebehörde, welche sich als nicht zuständig erachtet, die Hilfe suchende Person an die nach dem Gesetz unterstützungspflichtige Gemeinde verweist und dieser gleichzeitig Mitteilung macht (vgl. dazu Kapitel 3.3.01). Differenzierter ist vorzugehen, wenn es sich bei dieser um eine ausserkantonale Gemeinde handelt. Ergibt eine Anfrage bei dieser Gemeinde, dass sie die Zuständigkeit ebenfalls ablehnt oder ist die entsprechende Haltung jener Gemeinde bereits anderweitig bekannt (z.B., weil sie eine Nichteintretensverfügung mangels örtlicher Zuständigkeit erlassen hat), ist das Kantonale Sozialamt unter Beilage aller sachdienlicher Unterlagen über den Sachverhalt zu informieren. Kommt das Kantonale Sozialamt zum Schluss, dass eine Zuständigkeit der zürcherischen Gemeinde nicht oder zumindest gestützt auf die bis dahin bekannten Fakten nicht zuständig ist, versucht es über die nach Art. 29 ZUG zuständige ausserkantonale Stelle eine Klärung der Zuständigkeit herbeizuführen.

3.   Arten von negativen Kompetenzkonflikten

Verneinen die um Hilfe ersuchten Gemeinden ihre Zuständigkeit, liegt ein so genannter negativer Kompetenzkonflikt vor. Solche Zuständigkeitsstreitigkeiten können sich z.B. ergeben, wenn

  • umstritten ist, ob sich eine Person lediglich zu einem Sonderzweck in einem anderen Kanton aufhält (vgl. dazu Kapitel 3.2.01, Ziff. 5.3),

  • eine Person aus der bisher bewohnten Wohnung in der Gemeinde X wegzieht und in eine lose begleitete Wohnform im Nachbarkanton eintritt, bei der die Qualifikation als Heim im Sinne von Art. 5 ZUG (vgl. dazu Kapitel 3.2.01, Ziff. 3) umstritten ist,

  • eine Person über keinen Unterstützungswohnsitz verfügt und sich in zwei verschiedenen Gemeinden aufhält, so dass unklar ist, welcher der nach Art. 11 ZUG zuständige Aufenthaltskanton bzw. welche die zuständige Aufenthaltsgemeinde ist (vgl. dazu Kapitel 3.2.02),

  • ein Kind fremdplatziert wird, die Eltern in den Nachbarkanton ziehen und umstritten ist, ob das Kind bloss vorübergehend oder dauernd fremdplatziert ist (vgl. dazu Kapitel 3.2.03).

4.   Verpflichtung zur vorsorglichen Unterstützung bei negativen Kompetenzkonflikten

Negative Kompetenzkonflikte dürfen sich nicht zulasten der hilfesuchenden Person auswirken. Ist diese sofort auf Hilfe angewiesen, ist sie dort, wo sie sich aktuell aufhält, einstweilen, d.h. unpräjudiziell und ohne Anerkennung einer Rechtspflicht, zu unterstützen.

5.   Unterstützungsanzeige

Kommt im Rahmen eines Meinungsaustausches zwischen den nach Art. 29 ZUG zuständigen Amtsstellen keine Einigung über die Zuständigkeit zustande (vgl. vorstehend Ziff. 2), bedarf es einer förmlichen Klärung der Zuständigkeit, d.h. einer Entscheidung, die Rechtswirkungen entfaltet und das unterliegende Gemeinwesen rechtskräftig zur Unterstützung der betreffenden Person verpflichtet. Das ZUG kennt - im Unterschied zum SHEG § 5 Abs. 2 SHEVKapitel 3.3.01) - kein spezielles Verfahren für die Klärung von negativen Kompetenzkonflikten. Es ist daher in solchen Fällen auf das Instrument der Unterstützungsanzeige (vgl. Art. 30 ZUG) zurückzugreifen.

Wie vorstehend in Ziff. 3 dargestellt kann entweder umstritten sein, welche Gemeinde bzw. welcher Kanton der Unterstützungswohnsitz der bedürftigen Person ist oder es ist umstritten, wer als zuständiger Aufenthaltskanton hilfepflichtig ist. Es handelt sich hier also nicht um den klassischen Fall einer Notfallunterstützung nach Art. 30 ZUG. Derjenige Kanton, in welchem sich die auf sofortige Hilfe angewiesene Person aufhält, nimmt aber die Unterstützung auf, weil ein Notfall vorliegt und sich der negative Kompetenzkonflikt nicht zulasten der betreffenden Person auswirken darf. Dementsprechend ist nach Aufnahme der Unterstützung zuhanden des mutmasslichen Wohnkantons bzw. mutmasslich zuständigen Aufenthaltskantons eine Notfallunterstützungsanzeige im Sinne von Art. 30 ZUG einzureichen. Auf der Anzeige ist anzugeben, dass ein negativer Kompetenzkonflikt vorliegt und die Unterstützung demzufolge lediglich einstweilen und ohne Anerkennung einer Rechtspflicht erfolgt. Zudem ist bei Personen ohne Unterstützungswohnsitz anzugeben, dass die Unterstützung der Aufenthaltsgemeinde an den nach Art. 11 ZUG zuständigen Aufenthaltskanton bzw. die zuständige Aufenthaltsgemeinde erfolgt (vgl. auch Kapitel 18.2.03).

Mit der Einreichung einer Notfallunterstützungsanzeige wird zum einen erreicht, dass die Zuständigkeit auf dem Weg eines Einspracheverfahrens nach Art. 33 ZUG (vgl. dazu Kapitel 18.2.05) geklärt werden kann, ist doch davon auszugehen, dass der im Einsprache- und allenfalls nachfolgenden Beschwerdeverfahren (Art. 34 ZUG) unterliegende Kanton bzw. die letztlich zuständige Gemeinde auch die Fallführung übernehmen wird. Zum anderen wird mit der Unterstützungsanzeige sichergestellt, dass der vorläufig unterstützende Kanton bzw. die vorläufig unterstützende Gemeinde die bis zur Fallübergabe angefallenen Kosten erstattet bekommt, wenn sich herausstellt, dass sie sozialhilferechtlich nicht zuständig war (vgl. auch Kapitel 18.2.01).


Rechtsprechung

VB.2008.00291 (bestätigt durch das Bundesgericht mit Urteil 8C_852/2008 vom 25. Februar 2009 mit Verweis in E.3.3 auf Urteil 2A.55/2000 vom 27. Oktober 2000 E. 5a, welches sich zum Wechsel des Aufenthaltskantons äussert, der nur mit Zurückhaltung angenommen werden darf:

A, Staatsangehöriger des Landes W, der 1964 in der Schweiz geboren wurde und bis in das Jahr 2000 im Kanton X lebte, zog zu seinen Eltern nach W und kehrte im Herbst 2007 in die Schweiz zurück. Vom 1. Dezember 2007 bis 31. Januar 2008 lebte er in einer Unterkunft der Heilsarmee im Kanton X. Seine Ex-Ehefrau mit den gemeinsamen Kindern sowie seine Schwester wohnen im Kanton X. Am 5. Februar 2008 wurde er von der Kantonspolizei Zürich am Hauptbahnhof Zürich aufgegriffen und in der Folge mittels fürsorgerischer Freiheitsentziehung (FFE) in die Psychiatrische Universitätsklinik Zürich (PUK) eingewiesen, wo er wegen akuter paranoider Schizophrenie behandelt wurde. Der Kanton X lehnte eine Kostengutsprache ab, worauf ihm der Kanton Zürich eine Notfall-Unterstützungsanzeige zukommen liess. Die dagegen erhobene Einsprache wies die Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich ab.

Rechtsgrundlagen der Unterstützungspflicht für Ausländer (E. 2.1). Definition des Aufenthalts nach dem Zuständigkeitsgesetz (ZUG; E. 2.2). Wann ein die kantonale Unterstützungszuständigkeit ändernder Aufenthaltswechsel vorliegt, regelt das ZUG nicht; ein solcher ist bei Ausländern ohne Wohnsitz in der Schweiz zurückhaltend anzunehmen (E. 2.3).
A wollte im Kanton X Wohnsitz nehmen, doch konnte er sich in der Unterkunft der Heilsarmee nicht polizeilich anmelden. Er hätte sich somit auf einen Unterstützungswohnsitz berufen können und war als EU-Bürger berechtigt, sich in der Schweiz niederzulassen oder mindestens aufzuhalten (E. 4.1.1+2). Es ist fraglich, ob er die Heilsarmeeunterkunft freiwillig verliess (E. 4.2). Er verfügt über eine engere Beziehung zum Kanton X und hielt sich dort über zwei Monate tatsächlich auf, so dass er dort seinen Aufenthalt begründete (E. 4.2.2). Als er im Hauptbahnhof Zürich aufgegriffen wurde, war er auf dem Weg zum Konsulat; dies und die blosse Leistung der Nothilfe durch den Kanton Zürich führte nicht zu einem Wechsel des Aufenthaltskantons. Deshalb bleibt der Beschwerdeführer als sein Aufenthaltskanton unterstützungspflichtig (E. 4.3.2+3). Abweisung der Beschwerde.

Praxishilfen

Empfehlung der Kommission Rechtsfragen der SKOS zu negativen Kompetenzkonflikten